Higgs-Teilchen im Festkörper

Darstellung des Higgs-Amplituden Teilchens
Intensitätssignal des Higgs-Amplituden-Teilchens im longitudinalen dynamischen Strukturfaktor

Kürzlich veröffentlichte Experimente mit inelastischer Neutronenstreung in Nature Physics (Nature Physics 13, 638 (2017)) haben die Amplituden- oder auch Higgs-Anregung in dem zweidimensionalen Quantenmagneten C9H18N2CuBr4 identifiziert, d.h. ein Quantenmaterial aus gekoppelten Spinleitern mit schwacher Easy-Axis-Spinanisotropie. Motiviert von diesen Daten haben Forscher von der RWTH Aachen, des Harbin Instituts of Technology und der FAU Erlangen-Nürnberg theoretische Untersuchungen des dynamischen Strukturfaktors von gekoppelten Spinleitersystemen mittels Quanten-Monte-Carlo (QMC) Simulationen durchgeführt, die ein quantitatives Verständnis der magnetischen Anregungen inklusive des Amplituden-Higgs-Teilchens erlauben. Diese Arbeit ist in der letzten Ausgabe von Physical Review Letters mit besonderer Empfehlung der Editoren veröffentlicht worden (siehe Physical Review Letters 122, 127201 (2019), editors suggestion, sowie die Besprechung auf phys.org).

Die Beobachtung und das Verständnis des Higgs-Amplituden-Teilchens in Quantenmaterialien ist spannend, da es die Forschung in der Hochenergiephysik (Nobelpreis 2013 für die Beobachtung des Higgsteilchens) mit ähnlichen Konzepten in der Festkörperphysik verknüpft. Interessanterweise ist das Higgs-Amplituden-Teilchen instabil in zwei räumlichen Dimension, so dass die potentielle experimentelle Entdeckung dieses Teilchens in einem zweidimensionalen Quantenmagneten aus gekoppelten Spinleitern durch inelastische Neutronstreuung eine Überraschung darstellte. Für diese experimentelle Arbeit hatte Kai Phillip Schmidt (FAU) eine approximative Theorie aufgestellt, die nun in einer Kollaboration mit Stefan Wessel und seinem Postdoktoranden Tao Ying von der RWTH Aachen durch QMC Simulationen eindrucksvoll bestätigt werden konnte.

QMC Simulationen erlauben es hierbei die für die inelastische Neutronstreuung zentrale Größe, den sogenannten dynamischen Strukturfaktor, für ein zweidimensionales System aus gekoppelten Spinleitern quantitativ zu bestimmen. Der dynamische Strukturfaktor enthält die volle Information über die magnetischen Teilchen eines Quantenmagneten, so dass insbesondere sowohl ein umfassendes Verständnis des Higgs-Amplituden-Teilchens innerhalb des theoretischen Modells gewonnen werden konnte als auch zweifelsfrei dieses spannende Teilchen im Quantenmagneten C9H18N2CuBr4 nachgewiesen werden konnte. Weiterhin konnte dieses Teilchen innerhalb des theoretischen Modells bis zum sogenannten Isinglimes verfolgt werden, was es erlaubt das Higgs-Amplituden-Teilchen als gebundenen Zustand aus zwei konventionellen magnetischen Teilchen zu verstehen, analog zur Bildung eines Moleküls aus zwei Atomen.

Ausgehend von diesen theoretischen Erkenntnissen existieren weitere interessante Fragen für zukünftige Forschung. Insbesondere wird es wichtig sein ein physikalisches Verständnis des Higgs-Amplituden-Teilchens zu gewinnnen, wenn man das System näher an quantenkritische Punkte bringt, z.B. durch das Anlegen eines äußeren Magnetfeldes oder durch äußeren Druck. Wie wird sich das Higgs-Amplituden-Teilchen in dieser Situation verhalten? Wird es unter diesen Umständen instabil und zerfällt?

Referenzen:

Tao Ying, Kai Phillip Schmidt, Stefan Wessel
The Higgs Mode of Planar Coupled Spin-Ladders and its Observation in C9H18N2CuBr4
Physical Review Letters 122, 127201 (2019)

Tao Hong, M. Matsumoto, Y. Qiu, W. Chen, T.R. Gentile, S. Watson, F.F. Awwadi, M.M. Turnbull, S.E. Dissanayake, H. Agrawal, R. Toft-Petersen, B. Klemke, K. Coester, K.P. Schmidt, D.A. Tennant
Direct observation of the Higgs amplitude mode in a two-dimensional quantum antiferromagnet near the quantum critical point
Nature Physics 13, 638 (2017)

Kontakt:

Kai Phillip Schmidt

Tel.: 09131 85 28443

kai.phillip.schmidt@fau.de